Täglicher Impuls am 29.3.

Bei aller Sorge darum, wie es mit der Pandemie in Deutschland weitergeht: Noch haben wir es gut. Noch herrschen in der Wetterau keine norditalienischen Verhältnisse. Noch ist der Lagerkoller im Homeoffice nicht ausgebrochen. Noch reichen die Vorräte an Mehl und Klopapier. Noch ist das Miteinander von Hoffnung geprägt, wir machen einander Mut, halten Kontakt und sind füreinander da. Aber wie lange geht das noch gut…?

Von meinem persönlichen Naturell her bin ich ein positiver Mensch. Für mich tragen die Dornen Rosen, nicht umgekehrt. In jeder Krise steckt auch mindestens eine Chance. Das wird schon, wir kriegen das hin! Da muss ich mir manchmal auch konträr sagen lassen, dass die Realität nicht ganz so rosarot ist, wie ich sie gerne sehen würde. Leben werden gerettet, aber Existenzen zerstört – das ist ja das Drama, auf das wir uns als europäische und weltweite Gesellschaft mit der weitgehenden Schließung des öffentlichen Lebens eingelassen haben.

Der Propst für Rhein-Main, Oliver Albrecht, Mitglied der Kirchenleitung unserer EKHN, schreibt auf Facebook: „Noch versuche ich zu helfen, zu planen, zu denken so gut ich kann. In meinem Beruf, hier mit den Nachbarn. Noch bin ich ermutigt und manchmal sogar erheitert durch diese wunderbaren und so geistreichen Gottesdienste der Kolleg*innen im Netz. Noch spiele ich abends in der Einfahrt zur Strasse um 19:00 Uhr mit meinem Akkordeon ‚Der Mond ist aufgegangen‘. – Aber was wird aus uns werden, wenn das so richtig lange geht? Welche Seiten an uns werden zum Vorschein kommen, wenn es plötzlich um mehr als nur Klopapier geht?“

Schon jetzt bekommen wir zumindest in der öffentlichen Debatte eine Ahnung davon, zu welchen Unmenschlichkeiten uns die Krise zwingen wird. Ärzte müssen vielleicht irgendwann Entscheidungen darüber treffen, welche Patienten gerettet werden können und welche nicht. Die Triage, wie man das nennt, ist in Italien bereits bittere Realität. Dabei lässt sich die menschliche Würde nicht berechnen und nicht gegeneinander aufwiegen. Eine Entscheidung, die unmöglich ist. Was kann Ärzte dann leiten? Was kann ihnen helfen, das zu verarbeiten, wenn sie gezwungen sind, eine unmögliche Entscheidung zu fällen?

Auf diese Frage habe ich keine Antwort. Ich weiß nicht, wie man es „richtig macht“ – und wahrscheinlich gibt es auch einfach keine Antwort auf die unmögliche Frage. Aber wie man es falsch macht, dazu habe ich eine Vorstellung, und die hat mit Blumen und anderen Pflanzen zu tun. „Ich bin der Weinstock und ihr seid die Reben“, sagt Jesus, „wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht; denn ohne mich könnt ihr nichts tun.“ (Joh 15,5) Ein wunderschönes Bild, in dem umgekehrt auch eine bittere Wahrheit steckt.

Die bittere Wahrheit lautet: Wer nicht verbunden bleibt mit dem, der das Leben gibt, in seinen Händen hält und am Ende unserer Tage zu sich nimmt, der wird sein wie die Ranken und Reben eines Weinstocks, der von den Wurzeln abgetrennt ist. Am Anfang bleibt noch alles frisch, sieht vieles gut aus. Aber nach und nach welken die Blätter, werden trocken, fallen ab. So, wie wir es auf den heimischen Esstischen mit frischen Blumen erleben: Sie sehen herrlich aus und duften, aber nach und nach werden sie welk, lassen den Kopf hängen, vertrocknen. Warum? Weil sie nicht mehr verbunden sind mit der Wurzel, die alles trägt.

Diese bittere Wahrheit ist die Kehrseite einer süßen Verheißung. Wenn wir verbunden bleiben mit dem Grund des Lebens, dann werden wir Früchte bringen, und sie werden herrlich schmecken. Nach Mut und Hoffnung, nach Geduld und Perspektive, nach Miteinander und nach einer Haltung, bei der wir uns auch nach der Krise noch in die Augen blicken können.

In einem wunderschönen Lied von Albert Frey kommt diese Verbundenheit zum Ausdruck. Theologen nennen das, wovon Jesus in den Kapiteln Johannes 14-17 spricht: „Immanenz“ – „Ich in dir, du in mir“. Der Klang im „Land der Ruhe“ nimmt das auf. Vielleicht möchtest Du, möchten Sie das Lied hier mitsummen oder mitsingen? 

Lasst uns das nicht auf die leichte Schulter nehmen, sondern schon jetzt, wo wir alle noch halbwegs frisch sind, an dieser Verwurzelung arbeiten. Bitte: Betet für einander, für eure Nächsten und für eure Fernsten. Lest in der Bibel, bis Ostern kriegt ihr das mit dem Lukas-Evangelium noch gut hin. Nehmt geistliche Angebote wahr, Impulse aus unserer und aus anderen Gemeinden. Tauscht euch mit anderen aus, nehmt Anteil und gebt Anteil an eurem Leben. Meldet euch bei Menschen, die euch anvertraut sind, und bei denen, die sich niemandem anvertraut fühlen. Und der, der von sich sagt, dass er das Licht dieser Welt ist, wird uns auch durch dieses Dunkel unserer Tage tragen. Er hält alles Leben in seinen Händen, Gott sei Dank.

Ihr / Euer Pfr. Ingo Schütz

 

P.S.: Wer beim Lesen des Lukas-Evangeliums mitmacht: Am heutigen Sonntag ist Kapitel 10 an der Reihe. Auch dort gibt es ein Wehklagen über unsere Welt. Aber zugleich eine Vorstellung davon, wie man darin Prioritäten setzen und Entscheidungen treffen kann (v.a. ab Vers 25)…

Geistlich leben - jetzt erst recht: Das ist unsere Devise in der Christuskirchengemeinde Bad Vilbel. Während der Corona-Krise wollen wir nicht einfach nur alles absagen, sondern neue Wege eröffnen, wie wir unseren Glauben gemeinsam leben können, trotz des gebotenen Sicherheitsabstands. Dazu gehört auch der tägliche Impuls auf der Homepage. Die Impulse der vergangenen Tage finden Sie gesammelt unter https://www.ckbv.de/index.php/download/taeglicher-impuls. Weitere Infos entnehmen Sie bitte unserer Pressemitteilung:  https://ckbv.de/index.php/veranstaltungshinweise/1785-aktuelle-mitteilung.

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