Reiseberichte Südindien 2012

Laut, bunt, fromm und voller zauberhafter Menschen
Impressionen einer Reise nach Südindien von Hartmuth Schröder

Mittwoch, 4.07.2012, 11.55 Uhr, der Airbus der Quatar Airlines hebt in Frankfurt ab und bringt mich mit einer neunköpfigen Reisegruppe des Leipziger Missionswerkes (LMW) für zwei Wochen nach Südindien. Unser Besuch gilt vor allem der Tamilischen Evangelisch -Lutherischen Kirche (TELC) und auch dem Gründler Hostel, das unsere Evangelische Christuskirchengemeinde in Bad Vilbel seit Jahren unterstützt. Leiter der Reise sind Pfr. Dr. Christian Samraj, Indienreferent des Leipziger Missionswerkes (LMW), und seine Frau Esther. Über Dohar fliegen wir nach Chennai/Madras, wo wir mitten in der Nacht bei ca. 35 Grad landen und von Christians Familie mit einer Maleay, einem traditionellen Begrüßungsschmuck, empfangen werden. Es sollte nicht die letzte Maleay gewesen sein.

Die ersten Tage verbringen wir in Mamallapuram/Mahabalipuram direkt am Indischen Ozean. Schon auf der Fahrt dahin bekommen wir einen nachhaltigen Eindruck vom indischen Verkehr, der sich bei mir vom Schock über Faszination bis hin zur Bewunderung entwickeln wird, Bewunderung vor allem für die Gelassenheit und Aggressionsfreiheit, mit der alle Verkehrsteilnehmer trotz Überfülle und ständigen Hupens agieren. Höhepunkt dieser Tage ist die Besichtigung des UNESCO-Weltkulturerbes Mahabalipuram, einer Ansammlung großer Felsen und aus Felsen herausgeschlagener Tempel und Figuren.

Am Sonntag, dem 8.7., beginnt unser zehntägiges Begegnungsprogramm mit tamilischen Christinnen und Christen. Wir besuchen am Morgen einen Gottesdienst in Chengalpattu und erhalten unsere zweite Maleay. Später werden sich die Maleays zum Glück zumeist in Handtücher und Tücher (ca.12 Stück) verwandeln, was die Weitergabe an Bedürftige vor Ort sehr erleichtert. Der Gottesdienst ist gut besucht. Die Länge der Bibellesungen und Gebete ist für uns ein wenig ungewohnt, aber dafür können wir das eine oder andere Lied wiedererkennen und mitsingen. Christian übersetzt meine Gastrede und Rolands (Pfarrer aus Sachsen) Predigt, mit denen wir uns am Ablauf beteiligen. Der Gottesdienst dauert ca. 2 ½ Std. und danach haben wir noch Gelegenheit, mit einigen BesucherInnen zu sprechen, bevor wir uns zu unserer ersten von vier Kücheneinweihungen in einer Schule der TELC ins nahe Malameiyur begeben. Der Empfang dort ist überwältigend und wird sich in allen Einrichtungen, die wir besuchen, so wiederholen. Überall werden wir freundlichst empfangen und bewirtet. Beeindruckend aber sind vor allem die vielen Kinder unterschiedlichen Alters – die meisten von ihnen sind Hindus und gehören zu den Kastenlosen oder niedrigen Kasten -, mit ihren kunstvollen tänzerischen und theatralen Vorführungen, ihrem Lachen, ihrer Offenheit und Freundlichkeit. Was hat Indien für ein Potential an Jugend.

Am Mittag geht es weiter ins ca. 400 km entfernte Tiruchirapalli (Trichi), wo wir am Montag mit Bischof Martin und der Kirchenleitung an der Ordination junger Pfarrerinnen und Pfarrer teilnehmen und zu Ehren der ersten Missionare Bartholomäus Ziegenbalg und Heinrich Plütschau ein Denkmal enthüllen. Zu unser aller Erstaunen finden sich auf der dazu gehörigen Tafel, die Initiatoren, Spender und wichtige Anwesende nennt, unsere Namen wieder. Der Name Hartmuth Schröder unter Ziegenbalg und Plütschau vor dem Sitz des Bischofs in Trichy ?!?

Ab Dienstag geht es dann für drei Tage mit dem Bischof „On Tour“. Wir weihen in Schulen und Heimen drei weitere Küchen und einen neuen Generator ein und besuchen in Thanjavur das Frauenheim Bethesda. Dieser Besuch beeindruckt uns sehr. Die Frauen dort haben alle ein schweres Schicksal hinter sich und sind z.T. geistig behindert. Sie und auch ihre Betreuerinnen leben unter einfachen Verhältnissen. Aber sie strahlen eine Zuversicht aus, die Hoffnung macht.

Am Mittwochabend erreichen wir Tranquebar, die Geburtsstätte der evangelischen Mission in Indien. Der Ort hat zahlreiche zauberhafte Plätze:

Sehr schön und sehr weiß die Zionskirche aus der Zeit Ziegenbalgs, überraschend schön unsere Unterkunft im Gate House des dänischen Neemraman-Hotels, eindrucksvoll die alte dänische Festung und die neue Uferpromenade mit dem schlichten Erinnerungsfelsen an Ziegenbalg und Plütschau, überraschend hässlich dagegen ein 2006 errichtetes Denkmal Ziegenbalgs im schwarz-goldenen Grabsteinlook.

Eindrucksvoll aber sind vor allem die Jungen und ihre BetreuerInnen im Gründler-Hostel. Ich verbringe drei Abende und einen Morgen mit ihnen und erlebe eine intensive und vertrauensvolle Gemeinschaft. Die 41 Jungen sind sehr kommunikativ (obwohl ihr Englisch besser sein könnte!), sehr temperamentvoll (vor allem beim Fußballspielen, das völlig ohne Fouls verläuft) und sehr diszipliniert. Sie kennen ihren Tagesablauf genau und regeln zumeist alles, ohne dass einer der beiden Betreuer eingreifen müsste. Ich bin sehr verblüfft, als sie mich mitten im Fußballspiel am Arm ergreifen und sagen: „Hartmuth, jetzt ist Abendandacht“. Und die haben wir dann dreimal miteinander gefeiert.

Ich bin froh, dass ich für alle mit Hilfe unserer Reisegruppe und unseres Fahrers schöne Bastdecken für ihre Betten besorgen kann. Die Jungen werden von den beiden Betreuern (Warden) und den beiden Köchinnen gut versorgt. Außerdem reinigen zwei Personen täglich die WC´s. Schwierig ist allerdings die derzeitige Küchensituation. Die alte Gaseinrichtung ist marode, es wird draußen und in einem Raum ohne Abzug mit Holz gekocht, was der Gesundheit der Köchinnen nicht gut bekommt. Ich habe versprochen, dass wir für eine neue Küche sorgen werden. Die Kosten dafür belaufen sich auf ca. 1500-2000 €.

Über Pondicherry und Viluppuram, wo wir noch einmal mit einer indischen Gemeinde Gottesdienst feiern, geht es am Sonntagabend wieder nach Chennai zurück. Wir besichtigen den Mount St. Thomas und den Strand und haben gute und intensive Gespräche bei der Vereinigung der lutherischen Kirchen von Indien und im Gurukul-College, einer Art kirchlicher Denkfabrik.

Unser eigenes Fazit dieser Reise ist durchweg positiv. Nichts ersetzt persönliche Begegnungen. Vor dem Heimflug aber erreicht uns noch eine schreckliche Nachricht. Hindu-Fischer in Tranquebar haben christliche Fischer angegriffen, es gab zwei Schwerverletzte und einen Toten, Häuser wurden zerstört und es herrscht große Angst. Eine andere Realität hat uns eingeholt.

Spät nachts fahren wir zum Flughafen, der Abschied von Esther und Christian, die noch bei ihren Familien bleiben, fällt schwer.

Mittwoch, 18.07.2012: 17 Stunden später bin ich wieder zu Hause.

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