Die Paradiesgeschichte neu gelesen

Rückblick: Kirche anders zu den beiden biblischen Schöpfungsberichten

Klaus Neumeier predigt vor dem SternenhimmelAuch wenn die Silvesternacht lange vorbei war: In der Eingangshalle des Christuskirchen-Gemeindezentrums roch es am Sonntag Nachmittag noch einmal intensiv nach Knallkörpern. „Gott lässt’s knallen“ war das Motto und zunächst waren die Besucher eingeladen, es richtig knallen zu lassen! Im Saal hatte sich dann der Rauch noch nicht wirklich verflogen und der Gospeltrain gerade erst die Bühne verlassen, als Pfarrer Klaus Neumeier bereits mit dem ersten Part der Predigt begann: In Sekundenschnelle lief auf der Leinwand die Geschichte des Universums seit dem Urknall ab. Tatsächlich aber, so der Prediger, sei das mit dem Urknall für normale Menschen nur sehr schwer zu verstehen. Tatsächlich hinterließ ein vorgelesener und auf die Leinwand projizierter wissenschaftlicher Text viele offene Fragen.

Doch auch die biblische Geschichte von der Schöpfung hinterlasse offene Fragen, so Neumeier: „Leider lesen nicht nur fundamentalistische Bibelleser diese Geschichte wortwörtlich, sondern auch der kritische Mensch der Moderne. Auf die 6-Tage als Zeitmaß ist es den Autoren der Geschichte gar nicht angekommen“. Und dann führte Klaus Neumeier sehr anschaulich vor Augen, wie die biblischen Autoren vor rund 2.500 Jahren mit der Schöpfungsgeschichte der Bibel den Sternenglauben der Babylonier kommentierten: „Die von den Babyloniern als göttlich verehrten Sterne waren jetzt einfach Lichter am Himmel, die Tag und Nacht unterscheiden. Und der Gott Israels hat sie geschaffen. Was für eine Degradierung in den Augen der babylonischen Sterndeuter.“ In diesem Sinne sei die Geschichte aus 1. Mose 1 ein „nüchtern formuliertes Loblied“ auf Gott. Generell lade die Bibel ein, mit Herz und Seele neu staunen zu lernen über Gottes wundervolle Schöpfung. Und dazu lud der Christuskirchen-Pfarrer mit einer Bildmeditation und Lesung aus Psalm 104 ein.

Anschließend wurde es lebendig auf der Bühne: Adam und Eva (Andreas Cleve und Simone Appel) hatten bei Gott (Hartmuth Schröder) Platz genommen und erwarteten eine Therapiestunde, um ihr schwieriges Miteinander zu klären. Wo Eva eigentlich nur Langeweile im Paradies empfand, freut sich Adam über genau diese sorgenfreien paradiesischen Zustände. Und tatsächlich gelang es, dass sie gegenseitig gute Eigenschaften aneinander entdeckten. Als Eva dann dem hungrigen Adam im Nachspann einen Apfel anbot, brach die Vorführung mit der Verführung abrupt ab.

Theater mit A.Cleve S.Appel H.Schroder Gospeltrain2

 

Pfarrer Dr. Klaus Neumeier war es vorbehalten, die ebenso bekannte wie rätselhafte zweite Schöpfungsgeschichte zu deuten. Und das tat er für die meisten Besucher im voll besetzten Saal der Kirchengemeinde innovativ und zugleich unterhaltsam. Sehr einfache Interpretationen hätten sich allgemein durchgesetzt: Alleine im Garten sei für Adam alles gut gewesen, Gott pflanze komische Bäume und die Frau sei an allem Übel schuld. Auch hier aber nehme man die Autoren der Geschichte nicht ernst, denn sie hielten der menschlichen Psyche einen Spiegel vor – heute mehr denn je. Zunächst aber sei die Erkenntnis wichtig, dass es sich bei Adam (hebräisch „der Mensch“) und Eva („das Leben“) um ein Symbolpaar handele, das beispielhaft für die Menschheit an sich stehe. Das schwierigste an diesem Text sei, dass sich hier alles um den Menschen dreht, als sei er Mittelpunkt der Welt. Diese Anthropozentrik habe bis heute fatale Auswirkungen, wenn Menschen meinten, alles auf der Welt sei nur für sie da und sie könnten mit Ressourcen und anderem Leben nach eigenem Belieben umgehen. In beiden biblischen Schöpfungsberichten aber sei der Mensch da, um im Auftrag und im Sinne Gottes die Erde zu bebauen und zu bewahren.

Im Weiteren wäre es faszinierend, wie gut die damaligen Autoren die menschliche Psyche verstanden hätten: Der „Baum der Erkenntnis“ erinnere die Menschen daran, dass nicht alles gemacht werden müsse, was möglich sei. Freiheit könne zum Guten und zum Bösen genutzt werden. „Heute mehr als je zuvor müssen wir uns fragen lassen, ob ein Anything goes und ein menschlicher Machbarkeitswahn der Welt und dem Leben gut tun. Das Überwinden aller Grenzen ist Ausdruck menschlicher Überheblichkeit und Gottvergessenheit und führt immer neu in ethische und moralische Abgründe.“ Wo kippe eine Gottgewollte Freiheit und von ihm angelegte menschliche Neugierde in die Vernichtung von Leben und guter Gemeinschaft, fragte Klaus Neumeier seine sehr aufmerksamen Zuhörer. Die Versuchung, zu leben im Sinne eines „nichts ist uns unmöglich“ sie mehr denn je Ausdruck des modernen Zeitgefühls. Und auch das „paradise lost“ sei die Erfahrung der Menschen bis heute, denn an die Stelle von Vertrauen und Vertrautheit sei Misstrauen gekommen.

Thorsten Mebus als Chorleiter und Moderator von Kirche anders  Gospeltrain 

In den anschließenden Fragen und bei vielen Gesprächen im Anschluss wurde deutlich, wie wertvoll das Neulesen auch bekannter Geschichten sein kann – und wie schnell Vor-Urteile beispielsweise angebliche Gegensätze zwischen Glaube und Naturwissenschaft begründen, für die es sachlich überhaupt keine Notwendigkeit gebe, wie Klaus Neumeier bei der Frage-und-Antwort-Runde noch einmal betonte. Mühelos gelang des dem Gospeltrain unter der Leitung von Thorsten Mebus, die Besucher nach konzentriertem Zuhören wieder abzuholen. Und als die Besucher die Kirche verließen, hatte sich auch aller Rauch abgebrannter Knaller verzogen.                                                       

Lutz Rosenkranz

Verfasst am .

Drucken