Februar 2016 - Kirche anders - Verlorene Zeit

Rückblick: Kirche anders am 28. Februar 2016

KA160228 Ingo Schütz bei der Predigt„Eines ist doch erstaunlich“, erklärten die Moderatoren Claudia Wollmann und Andreas Hinkel dem Publikum mit einem Augenzwinkern: „Während man vor 20 Jahren schon keine Zeit hatte, sich um ein Kind zu kümmern, scheitern die Leute heutzutage oft schon bei der Suche nach einem Termin zur Produktion!“ Damit verwiesen sie auf das Theaterstück, in dem die Burg-Schauspielerin Simone Appel und Pfarrer Ingo Schütz ein Paar in ständiger Zeitnot darstellten. Die gemeinsame Sehnsucht nach einem Kind scheiterte auf der Bühne schon daran, dass die Terminkalender der beiden schlichtweg zu voll waren.

„Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ war der Titel des Gottesdienstes im „Kirche anders“-Format, der am 28. Februar im Saal der Christuskirche gefeiert wurde. Es war zugleich die Wiederaufnahme eines alten Titels, denn bereits vor 20 Jahren ging es – im damals zweiten „Kirche anders“ überhaupt – um genau dieses Thema.

Seitdem ist zwar viel Zeit vergangen, aber schnell wurde klar, dass die Zeitnot immer noch ein hochaktuelles Problem in unserer Gesellschaft darstellt. Nachdem die Cover-Band „Extrablatt“ hochkarätig aufgespielt hatte, ging Schütz, als er sein Theater-Outfit abgelegt hatte, in der Predigt darauf ein.

„Hintergrund unseres Gefühls, der Zeit ständig hinterherzurennen, ist die Durchökonomisierung unseres Lebens. Alles in unserem Umfeld ist auf wirtschaftliche Effizienz getrimmt. Diesen Maßstab legen wir oft auch an unser eigenes Leben an und wollen so viel wie möglich aus jedem Augenblick rausholen“, analysierte Schütz. Doch der Weg führe in die Irre, behauptete er. Denn dadurch hätten wir letztlich nicht mehr, sondern weniger Zeit. Jede Minute, die wir durch effizienzsteigernde Maßnahmen freibekämen, würden wir automatisch wieder mit anderen Dingen füllen. Seine Behauptung illustrierte er mit Apfelweingläsern, die nachgefüllt wurden, sobald es in ihnen etwas Freiraum gab – ein Sinnbild für das Anfüllen unserer freien Zeit mit immer neuen Aufgaben und Projekten.

Am eigenen Leib spürten die Besucherinnen und Besucher das, als die beiden Moderatoren ihnen zu Beginn des Gottesdienstes eine Minute Zeit schenkten: 60 Sekunden Stille, in denen doch ganz viel passierte. Kaum einen gab es, der nicht anfing, die Zeit zu füllen, indem er auf sein Smartphone blickte, mit seinem Sitznachbarn tuschelte oder im Kopf noch einmal die Einkaufsliste für den nächsten Tag durchging. „Dabei würde es uns gut tun“, so behauptete der Prediger später, „wenn wir Zeit auch einfach mal ungenutzt lassen. So kommt es übrigens auch in den Geschichten der Bibel zum Ausdruck: Nach großer Anstrengung muss es auch immer wieder Zeiten der Entspannung gehen, nach der gut genutzten auch eine herrlich unnütze Zeit, und beide gehören in einem guten Rhythmus zusammen.“

Die Mehrheit der knapp 150 Besucherinnen und Besucher blieb nach dem Gottesdienst erkennbar gelassen noch eine Weile in der „Anders Bar“ und genoss die Zeit bei Wasser, Wein und guten Gesprächen. Vielleicht war das ja schon der erste Versuch umzusetzen, wozu sie aufgefordert worden waren: Zeit nicht immer nur unter Gesichtspunkten der Effizienz zu betrachten, sondern sie immer wieder auch an sich und andere zu verschwenden und sie – ganz „nutzlos“ – zu genießen.

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