Rückblick: „Augen auf für das Reich Gottes“ – Bad Vilbeler erleben den Ev. Kirchentag in Dresden
„Es war ein besonderes Erlebnis: viele Menschen, viele Kulturen und doch eine große Gemeinschaft“ resümierte Frank Altschaffner (19) die Eindrücke seines ersten Kirchentagsbesuchs. Als Pensionär war Hans Ulrich Callies bereits oft dabei gewesen.
Er war besonders beeindruckt von der Gastfreundschaft der Menschen aus Dresden, in der nur eine Minderheit einer christlichen Kirche angehört. Darüber hinaus nimmt er mit, wie viele bekannte Personen des öffentlichen Lebens und Wissenschaftler sich öffentlich authentisch zu ihren Werten bekannt haben.
Diese Tendenz zu sehr persönlichen Aussagen mitten aus dem eigenen Leben war tatsächlich verbreitet. Selbst wenn es oft alte christliche Einsichten und Werte sind, so werden sie doch mehr und mehr aus dem Kontext des individuellen Lebens erzählt – und genau dies kommt bei Menschen aller Altergruppen glaubwürdig an. Ex-Bischöfin Margot Käßmann steht ebenso für diese neue Authentizität wie Prof. Dr. Eckard Nagel als Arzt, Ethiker und eben evangelischer Christ. Sein Vortrag über „Glauben im Heilungsprozess“ basierte auf vielen eigenen Erfahrungen und christlichen Deutungen des Lebens.
Genau zu solchen christlichen Lebensdeutungen ermutigte auch die Frankfurter Pfarrerin Ulrike Trautwein als Predigerin im großen Abschlussgottesdienst auf den Elbwiesen. „Augen auf für das Reich Gottes“ war ihre Einladung: In vielen kleinen Momenten leuchtet es unter uns auf und es liegt an uns, dies zu erkennen und im Glauben mit Gott in Verbindung zu bringen. Als weiteres starkes Signal haben die Vilbeler Christinnen und Christen die vielfache Aufforderung mitgenommen, sich aktiv in die Gesellschaft einzumischen. Christopher Mallmann hat es von Joachim Gauck gehört, Pfarrer Dr. Klaus Neumeier vom Philosophen Richard David Precht: „Mischt euch ein!“ Seit Jahrzehnten ist in diesem Sinne der Kirchentag nicht nur ein Treffen von Frommen, sondern von engagierten Bürgerinnen und Bürgern. Die Beteiligung vieler Prominenter aus Politik, Wirtschaft und Kultur hat Tradition und der Vilbeler Pfarrer ist sich sicher: „Durch ihre Teilnahme am Kirchentag bereichern sie nicht nur diesen, sondern bedenken gleichzeitig selbst, was ihnen Gottvertrauen und christliche Werte bedeuten. Der Kirchentag ist in diesem Sinne ein großer christlicher Vergewisserungsprozess für unsere ganze Gesellschaft“. In diesem Sinne durchzog die Einsicht die Tage in Dresden: Die Ausrichtung des Lebens auf Gott und die Mitgestaltung der Gesellschaft gehören untrennbar zusammen.
In diesem Sinne war der gesungene und gefeierte Glaube überall präsent: Auf der Bühne des Altmarktes wurde Gott mit Band und Gesang besungen - „und zwar mit wirklich zeitgemäßen Liedern und nicht denen aus den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts!“, merkte der Vilbeler Pfarrer an. Gospelmusik erschallte immer wieder in Hallen und auf Plätzen, ein ganzes Fußballstadion wurde zum Musicaltheater und begeisterte auch einige der Bad Vilbeler. Das Symbol eines mit den Händen geformten Herzens zog sich durch den Kirchentag. Für die Theologie- und Mathematikstudentin Judith Reitz war dies hilfreich: „… da wird auch dein Herz sein!“ ist für mich vom kitschigen Slogan zum vielbedeutenden Bibelvers geworden. Ich habe auf dem Kirchentag viel darüber nachgedacht, woran mein Herz hängt und welche Konsequenzen das für mein Leben und meinen Glauben hat.“ Am Ende war es vor allem die Fülle von Begegnungen, die zählte – und im Forum „Zukunft der Kirche“ wurde genau dies als Wegweisung für das 21. Jahrhundert benannt: Christinnen und Christen, die durch authentische und glaubwürdige Beziehungen überzeugen und in unserer Gesellschaft gestaltend präsent sind. Gemeindepädagogin Martina Radgen nimmt dafür die Aufforderung von Frère Richard aus dem französischen Taizé mit: „Du musst nicht das gesamte Evangelium verstehen, aber lebe den Teil, den du verstanden hast und schiebe dies nicht vor dir her.“ Sinja Bauer (17) kommt mit einer ebenso einfachen und klaren Botschaft aus dem ökumenischen Himmelfahrtsgottesdienst wieder in ihre Bad Vilbeler Heimat: „Da wo Liebe beginnt ist schon ein Stück Himmel auf Erden!“
Lutz Rosenkranz